Paradigmenwechsel in der Marktbearbeitung – Teil 2: Der Dopplungseffekt

Glaubwürdigkeit ist selten ein Einzelereignis – sie ist oft das Ergebnis von Wiederholung.
Oder genauer gesagt: Wiederholung durch mehrere voneinander unabhängige Quellen.

Das ist der Kern des Dopplungseffekts:
Wenn dieselbe Botschaft aus zwei (oder mehr) unabhängigen Richtungen kommt, steigt ihre Glaubwürdigkeit massiv – auch dann, wenn die Inhalte gleich bleiben.

Warum wirkt das?

Weil unser Gehirn auf Bestätigung von außen reagiert.
Wenn ich von zwei völlig unterschiedlichen Stellen dasselbe höre, lese oder erlebe, werte ich es automatisch als wahrervalider oder verlässlicher.
Und das gilt nicht nur im Marketing oder der Medienwelt, sondern auch im persönlichen Gespräch mit Kunden oder Partnern.

Ein Beispiel aus dem Vertriebsalltag:

Ein Interessent hört vom Sales Manager, dass das Produkt besonders wartungsarm ist.
Am nächsten Tag sagt ihm ein Entwickler im Gespräch das Gleiche – ohne dass die beiden sich abgesprochen haben.
Was passiert? Die Aussage wirkt glaubwürdiger. Weil sie nicht nur aus dem Vertrieb kommt. Und weil sie konsistent ist – aber eben über getrennte Kanäle.

Das kann gezielt eingesetzt werden:

  • Zwei verschiedene Personen senden dieselbe Botschaft (z. B. Technik + Vertrieb).
  • Zwei verschiedene Medien transportieren dieselben Inhalte (z. B. Website + persönliche Beratung).
  • Zwei Zeitpunkte bestätigen ein und dieselbe Aussage (z. B. Erstkontakt + Nachfassgespräch).

Aber Achtung:

Der Dopplungseffekt wirkt nur, wenn die Quellen unabhängig erscheinen. Wird der Effekt „gemacht“ und wirkt inszeniert, verliert er seine Kraft – oder kehrt sich sogar ins Gegenteil.

Und klar: Auch der Dopplungseffekt schützt nicht vor Falschinformation. Wenn zwei Personen denselben Unsinn erzählen, bleibt es Unsinn – und fällt früher oder später auf den Absender zurück.

Es gilt:

Wer glaubwürdig sein will, muss nicht mehr reden, er benötigt nur ein Echo. Dieselbe Botschaft aus einer anderen unabhängigen Quelle lässt die Glaubwürdigkeit signifikant steigen. Aber nur, wenn die Quellen wirklich unabhängig voneinander wahrgenommen werden.

Der Dopplungsefekt wurde wissenschaftlich nachgewiesen von Harry Wessling; Universität zu Köln. Institut der Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der WISO-Fakultät. Die Idee stammt von Prof. Dr. Günter Wiswede.

Quellen: Finanzpsychologie / hrsg. von Lorenz Fischer ... - München. Wien: Oldenburg, 1999. Kapitel 14 "Der Einfluss eines Finanzberaters auf die Beurteilung von Aktienkursen: Glaubwürdigkeit und Dopplungseffekt. Frank Belschak und Harry Wessling, Institut der Witschafts- und Sozialpsychologie, Universität zu Köln; Diplomarbeit von Harry Wessling

Kipp-Punkte in Verhandlungen

Sie sind im Vertrieb oder als Entscheider tätig, haben schwierige Verhandlungen vor sich und wissen genau, dass es kritisch werden kann? Dann vermeiden Sie Kipp-Punkte, wie sie im Eklat zwischen Trump und Selenskyj ihr volle Wirkung entfaltet haben. Vielleicht hilft es, ohne Wertung die Eskalationskaskade mithilfe robuster Erklärungsmodelle zu betrachten.

Ich habe mir immer wieder die Stelle genau angeschaut, wo die positive Grundhaltung der Gesprächsteilnehmer den kritischen Kipp-Punkt erreichte, der zum Abbruch der Verhandlungen führte. Dieser Punkt kann reaktanztheoretisch erklärt werden. Die Welt ist aktuell im „Wertungs-Modus“, doch schauen wir kurz ganz ruhig und nüchtern auf die Transkription an der kritischen Stelle:

Die entscheidende Stelle – Der Kipp-Punkt

„Sie werden es in der Zukunft spüren (…) Sie werden den Einfluss spüren“ war der Punkt, an dem die Gesprächspartner sich in ihrer persönlichen Freiheit eingeengt fühlten, indem Selenskyj lediglich versuchte zu vermitteln, dass die Gesprächspartner etwas spüren werden. Die Reaktanztheorie von Brehm macht zu solchen Ereignissen klare Voraussagen:

Wenn ein Mensch sich in seiner Freiheit eingeengt fühlt (beispielsweise in einem Gespräch, auf Makroperspektive auch in einem völkerrechtswidrigen Angriff als Kollektiv), dann ist der Betroffene bestrebt, diese Freiheit wieder herstellen. Entweder durch innere Haltungen oder aber durch äußeres Handeln. Wir schauen grade nur auf die punktuelle Situation in der Verhandlung – Trump fühlte seine Freiheit hier massiv angegriffen, indem ihm jemand sagte, was er spüren wird. In der Kommunikation eine Falle, die jeder kennt: „Du bist, Du wirst, Du machst“ ist immer ein Angriff, statt: „Ich empfinde, auf mich wirkt das wie, …“

„Du-Botschaften“ sind zum Scheitern verurteilt. Mit Garantie! Wenn Sie wollen, dass eine Verhandlung scheitert, dann machen Sie einen Vorwurf in einer Du-Botschaft – Das Ende der Verhandlung ist dann nur noch eine Frage der Zeit.

Trump und die betroffenen Deutschen reagieren ähnlich. Sie wollen ihre individuelle Freiheit wieder herstellen. Je mehr ein Gesprächspartner jedoch auf seinem Standpunkt besteht, indem er dem anderen „eine Ansage macht“, desto eher wird die Freiheit des Anderen bedroht. Diese Freiheit kann geschützt werden durch REAKTANZ. Das bedeutet, der Gesprächspartner wird es nicht zulassen, dass seine Freiheit (der Meinung, seiner Gefühle, seiner Position) eingeengt wird. Er wird exakt gegenteilig reagieren.

Der Betroffene wird nicht einlenken, sondern zur Gegenwehr ansetzen.

Ich bewerte hier weder die Professionalität, noch den weiteren Gesprächsverlauf. Ich bewerte hier nicht die Hintergründe, nicht die Ungerechtigkeit, nicht die Position von Angreifer und Verteidiger. Ich nehme keinen Bezug zum Angriff von Russland auf die Ukraine, noch auf andere Gerechtigkeitspositionen, kein Bezug zu europäische Positionen usw. Ich betrachte hier lediglich Kipp-Punkte auf, die jedem Vertriebsprofi in Verhandlungen begegnen können. Wenn solch ein Punkt erreicht wurde, ist eine Deeskalation nur noch sehr schwierig zu erreichen, weil REAKTANZ bereits seine volle Wirkung entfalten wird.

Wie können Kipp-Punkte vermieden werden?

Um es kurz zu halten und die Reaktanztheorie nicht akademisch auszuführen, können Sie ein Scheitern von Verhandlungen vermeiden, indem Sie Kipp-Punkte nicht zulassen. Konkret am Beispiel Trump vs. Selenskyj lernen:

Selenksyj hätte es vermeiden können zu sagen, was Trump spüren wird, denn das wurde als Drohung interpretiert, und zwar nicht als nationale Drohung, sondern als Reduktion der persönlichen Freiheit, wie Trump zu fühlen hat. Das war der Kipp-Punkt in der kritischen Verhandlungssituation. Diplomatsich hätte das vermieden werden können, auch im Wortgefecht, auch im aktuellen Kontext.

Wie können Kipp-Punkte vermieden werden?

  • Vorsicht in der Argumentation mit „Du-Botschaften“
  • Das eigene Empfinden artikulieren (aber auch hier – Vorsicht!)
  • Niemals den Freiheitsspielraum des Gesprächspartners einengen oder angreifen
  • Entschuldigen Sie sich sofort, falls Sie es doch getan haben, um Schaden abzuwenden
  • Im Wortgefecht immer die Ruhe behalten = 3 Sekunden Schweigen, bevor Sie antworten – Vielleicht die größte Herausforderung
  • Manchmal ist es klüger, nicht alle Fakten und auch nicht alle Gefühle auf den Tisch zu legen
  • Es kann ratsam sein, bei einem Angriff zu schweigen, statt sich zu wehren
  • Immer im Blick behalten: „Hat mein Gesprächspartner das Gefühl der eigenen Entscheidungsfreiheit?“

Hinweise: Dieser Beitrag bewertet nicht den politischen Kontext. Es ist kein Standpunkt zur politischen Lage und keine Bewertung von Präsident Selenskyj, noch von Präsident Trump oder Vizepräsident Vance. Es handelt sich um eine punktuelle Betrachtung einer spezifischen kritischen Verhandlungssituation. Im Kontext ist die Ukraine das Opfer und Präsident Trump hat offenbar nicht „präsidial“ verantwortungsbewusst reagiert – Das ist ein anderes Thema. Mir geht es nur darum, offenzulegen, welche sozialpsychologischen Gesetzmäßigkeiten in komplexen Situationen ein Ergebnis völlig zerstören können. Wer diese Gesetze kennt, kann in Verhandlungen zum gemeinsamen Ziel kommen und Fallen vermeiden. Dieses Beispiel zeigt, welche katastrophale Kaskade eine Fehlentwicklung in Wellen freisetzen kann.