500 Tage Sturm

Als geübter Windsurfer springe ich bei Windstärke 7 bis 8 entspannt auf mein Waveboard, hake mich ein und presche los. Innerhalb weniger Sekunden erreiche ich bis zu 60 km/h, während das Material über das Wasser schießt. Die Finne hält, und das Board gleitet auf einer Fläche kaum größer als ein Blatt Papier. Vom Ufer aus wirkt das spielerisch. Tatsächlich aber liegen bis zu diesem Moment 500 Tage intensiver Übung hinter mir. Ein mal die Woche für 10 Jahre sind etwa 500 Tage Training.

Wunsch & Wirklichkeit

Viele Surfanfänger wünschen sich, sie könnten das auch, und zwar sofort. Doch die Realität sieht anders aus. 500 Tage hartes Training waren nötig. Wer in NRW lebt und jedes Mal für einen Tag an die holländische Küste fährt, kommt schnell auf 500 Fahrten à 750 Kilometer. Das ergibt rund 300.000 Kilometer im Auto. Hinzu kommen das Packen, Sortieren, Staus, Auf- und Abbau, Trocknen und Reinigen. Die besten Bedingungen herrschen übrigens im Winter, von November bis Februar. Oft schneit es, es hagelt oder regnet, während man sich bei null Grad am menschenleeren Strand umzieht. Nass, frierend und im Wind zu stehen, macht keinen Spaß. Aber wer Windsurfen liebt, nimmt all das in Kauf.

Wissen ist keine Erfahrung

Im Beratungs- und Projektgeschäft treffe ich häufig Menschen in leistungsorientierten Organisationen, die sich neues Wissen angeeignet haben. Etwa über Künstliche Intelligenz, Target Personas, Customer Journeys, technologische Entwicklungen oder kulturelle Veränderungen wie Homeoffice. Das sind wichtige Themen, aber noch sehr neu. Wenn ich an meine eigenen Surflektionen zurückdenke, an blutige Hände, aufgeschürfte Haut, zerstörtes Material, gebrochene Masten, gerissene Segel und verlorene Finnen mitten auf dem Wasser, dann wird klar, wie viel Zeit und Einsatz es braucht, um echte Erfahrung aufzubauen. Bei mir hat das acht bis zehn Jahre gedauert, mit regelmäßigem Training, jede Woche.

Deshalb frage ich mich, wie manche glauben können, ein neues Thema vollständig zu beherrschen, obwohl es kaum jemand wirklich durchdrungen hat, nicht einmal die sogenannten Experten. Aus der Distanz betrachtet ist klar, dass viele im Sturm gar nicht erst aufs Board kämen, geschweige denn das Segel halten könnten. Es fehlt schlicht an Erfahrung.

Symbiose aus Wissen und Erfahrung

Menschen in etablierten Organisationen bringen oft tiefe Erfahrung aus ihrer Branche und ihrem Unternehmen mit. Sie wissen, wie Abläufe funktionieren, wie Entscheidungen getroffen werden und worauf es in ihrem Umfeld ankommt. Doch wenn neue Themen aufkommen, wie Künstliche Intelligenz oder agile Führung im Homeoffice, fehlt ihnen der sichere Umgang mit der neuen Situation. Das ist verständlich. Daher holen sich Unternehmen Berater ins Team. Diese sind es gewohnt, mit neuen Themen zu arbeiten, auch wenn sie selten die Unternehmenskultur oder tiefere Branchenerfahrung mitbringen. Sinnvoll ist es deshalb, Teams zu bilden, in denen beide Seiten vertreten sind. Wissen und Erfahrung, Innovation und operative Realität.

Kernkompetenz

Das Beispiel Windsurfen zeigt deutlich, dass Kernkompetenz auf Wissen basiert. Das ist ein guter erster Schritt. Der zweite Schritt besteht darin, Erfahrung aufzubauen. Wenn Unternehmen die sogenannten Beratererfahrungen, also Best Practices, einkaufen möchten, handelt es sich dabei um eine temporäre Lösung, die mit anderen Kosten verbunden ist, als wenn man dieses Wissen im eigenen Unternehmen entwickelt. Das ist durchaus möglich, erfordert jedoch ebenfalls Zeit und Menschen, die genau diese Erfahrungen mitbringen – und auch das hat seinen Preis. Richtig günstig wird es also nie.

Wer im Sturm bestehen und im Wettbewerb erfolgreich sein will, muss entweder viele Jahre ins Training investieren oder Menschen ins Team holen, die dieses Training bereits hinter sich haben.

Teil 3 – Glaubwürdigkeit in der digitalen Welt: Interessengebundenheit

Serie auf Think Digitally über den Paradigmenwechsel im Vertrieb/ der Marktbearbeitung


„Wir hatten BASIC – nur hatten wir’s nicht.“

So oder so ähnlich beschreibt Bill Gates selbst die Geburtsstunde von Microsoft in seinem aktuellen Beitrag zum 50-jährigen Jubiläum des Unternehmens (gatesnotes.com). Gemeinsam mit Paul Allen behauptete er 1975 gegenüber Ed Roberts von MITS, man hätte eine lauffähige Version von BASIC – obwohl das zu diesem Zeitpunkt schlichtweg nicht stimmte. Heute nennt man das: Pre-Selling. Oder eben: Eine Idee mit voller Überzeugung vertreten, bevor sie zur Wirklichkeit wird.

Was hat das mit Glaubwürdigkeit zu tun?


Interessengebundenheit: Die unsichtbare Triebfeder

Wir alle handeln interessengebunden. Gründer, Vertriebler, Softwareentwickler – niemand ist neutral. Bill Gates hatte ein Interesse: Er wollte den Deal. Und dafür war er bereit, eine Idee zu verkaufen, bevor sie überhaupt in Code gegossen war. Der Clou: Es war nicht nur eine Lüge. Es war auch eine Vision. Eine Vision, die in kürzester Zeit zur Realität wurde.

Die Frage ist nicht, ob jemand ein Interesse verfolgt. Die Frage ist, ob das Interesse transparent gemacht wird.


Glaubwürdigkeit entsteht durch die Offenlegung von Interessen

Vertriebler versprechen Lösungen. Entwickler verkaufen Roadmaps. Berater versprechen Transformation. Und immer steckt ein Interesse dahinter: zu überzeugen, zu gewinnen, zu wachsen. Das ist legitim – solange es offen kommuniziert wird. Wer so tut, als sei er nur am Kundenwohl interessiert, verliert an Glaubwürdigkeit.

Glaubwürdig ist nicht, wer keine Interessen hat – glaubwürdig ist, wer mit seinen Interessen ehrlich umgeht.


Was bedeutet das für moderne Dienstleister und Softwareanbieter?

  1. Zeig dein Warum. Warum verkaufst du diese Lösung? Was treibt dich an?
  2. Steh zu deinem „Noch-nicht“. Viele versprechen heute fertige Lösungen, obwohl sie sich noch in der Entwicklung befinden. Das ist okay – solange du sagst: „Wir haben einen klaren Weg dorthin.“
  3. Baue Vertrauen durch Transparenz. Interessengebundenheit wird dann zum Pluspunkt, wenn sie klar benannt wird.

Bill Gates als Beispiel für Ehrlichkeit in der Retrospektive

Dass Gates heute offen über die anfängliche Lüge spricht, macht ihn nicht unglaubwürdig – im Gegenteil. Es zeigt: Wahrheit braucht oft Zeit, aber Glaubwürdigkeit entsteht dort, wo jemand später Verantwortung übernimmt.


Der Tipp für dich:

Glaubwürdigkeit bedeutet nicht Perfektion. Sie bedeutet nicht, immer schon alles zu haben. Sie bedeutet, Interessen nicht zu verschleiern – sondern sie bewusst zu machen. In einer Welt, in der Lösungen oft verkauft werden, bevor sie existieren, ist offene Interessengebundenheit ein kraftvoller Hebel für Vertrauen.

Einfach gesprochen – Fahr mit offenem Visir.

Nachsatz: Und was ist jetzt mit BASIC?

Zur Einordnung: Bill Gates und Paul Allen haben BASIC nicht erfunden – das waren John G. Kemeny und Thomas E. Kurtz am Dartmouth College. Sie entwickelten BASIC 1964 als einfache Sprache für Studierende und stellten sie frei zur Verfügung. Was Gates und Allen jedoch taten, war bemerkenswert: Sie adaptierten diese Sprache für den brandneuen Mikrocomputer Altair 8800 – ohne sie bereits fertig zu haben, aber mit einem klaren Ziel vor Augen.

Sie entwickelten innerhalb weniger Wochen eine funktionierende Version von BASIC für den Altair – und legten damit den Grundstein für Microsoft. Keine Patentverletzung, kein Diebstahl – sondern Unternehmertum, Timing und der Mut, eine Idee zur Wirklichkeit zu machen, bevor sie überhaupt existierte.

Ich persönlich habe BASIC als fünfzehnjähriger Schüler auf dem Commodore C-64 gelernt und hatte großen Spass in der Anwendung dieser einfachen Programmiersprache auf dem 8-Bit Computer (so entstand beispielsweise in den 1980ern mein Programm ADRESSMAT, die Adressbuchverwaltung).

Wie Steve Jobs auch?

… und: Auch Steve Jobs verkaufte den ersten Apple Computer, obwohl er ihn nicht hatte. Das haben Bill Gates und Steve Jobs, die Wurzeln von Apple und Microsoft gemeinsam.

Quelle des Bildes: GatesNotes.com

Paradigmenwechsel in der Marktbearbeitung – Teil 2: Der Dopplungseffekt

Glaubwürdigkeit ist selten ein Einzelereignis – sie ist oft das Ergebnis von Wiederholung.
Oder genauer gesagt: Wiederholung durch mehrere voneinander unabhängige Quellen.

Das ist der Kern des Dopplungseffekts:
Wenn dieselbe Botschaft aus zwei (oder mehr) unabhängigen Richtungen kommt, steigt ihre Glaubwürdigkeit massiv – auch dann, wenn die Inhalte gleich bleiben.

Warum wirkt das?

Weil unser Gehirn auf Bestätigung von außen reagiert.
Wenn ich von zwei völlig unterschiedlichen Stellen dasselbe höre, lese oder erlebe, werte ich es automatisch als wahrervalider oder verlässlicher.
Und das gilt nicht nur im Marketing oder der Medienwelt, sondern auch im persönlichen Gespräch mit Kunden oder Partnern.

Ein Beispiel aus dem Vertriebsalltag:

Ein Interessent hört vom Sales Manager, dass das Produkt besonders wartungsarm ist.
Am nächsten Tag sagt ihm ein Entwickler im Gespräch das Gleiche – ohne dass die beiden sich abgesprochen haben.
Was passiert? Die Aussage wirkt glaubwürdiger. Weil sie nicht nur aus dem Vertrieb kommt. Und weil sie konsistent ist – aber eben über getrennte Kanäle.

Das kann gezielt eingesetzt werden:

  • Zwei verschiedene Personen senden dieselbe Botschaft (z. B. Technik + Vertrieb).
  • Zwei verschiedene Medien transportieren dieselben Inhalte (z. B. Website + persönliche Beratung).
  • Zwei Zeitpunkte bestätigen ein und dieselbe Aussage (z. B. Erstkontakt + Nachfassgespräch).

Aber Achtung:

Der Dopplungseffekt wirkt nur, wenn die Quellen unabhängig erscheinen. Wird der Effekt „gemacht“ und wirkt inszeniert, verliert er seine Kraft – oder kehrt sich sogar ins Gegenteil.

Und klar: Auch der Dopplungseffekt schützt nicht vor Falschinformation. Wenn zwei Personen denselben Unsinn erzählen, bleibt es Unsinn – und fällt früher oder später auf den Absender zurück.

Es gilt:

Wer glaubwürdig sein will, muss nicht mehr reden, er benötigt nur ein Echo. Dieselbe Botschaft aus einer anderen unabhängigen Quelle lässt die Glaubwürdigkeit signifikant steigen. Aber nur, wenn die Quellen wirklich unabhängig voneinander wahrgenommen werden.

Der Dopplungsefekt wurde wissenschaftlich nachgewiesen von Harry Wessling; Universität zu Köln. Institut der Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der WISO-Fakultät. Die Idee stammt von Prof. Dr. Günter Wiswede.

Quellen: Finanzpsychologie / hrsg. von Lorenz Fischer ... - München. Wien: Oldenburg, 1999. Kapitel 14 "Der Einfluss eines Finanzberaters auf die Beurteilung von Aktienkursen: Glaubwürdigkeit und Dopplungseffekt. Frank Belschak und Harry Wessling, Institut der Witschafts- und Sozialpsychologie, Universität zu Köln; Diplomarbeit von Harry Wessling