CX-Visionen?

Eine Vision hängt ziemlich hoch, quasi in den Wolken. Ein Zielbild dagegen ist etwas präziser, kann besser formuliert werden und ist damit etwas greifbarer. Was eignet sich nun für eine Initiative zur Digitalisierung besser – Das Zielbild oder eine Vision? Beginnen wir mit einer Vision, ganz konkret!

Mit der SUCCES-Formel eine Vision erstellen. Und so geht’s:

  • Simple
  • Unexpected
  • Concrete
  • Credible
  • Emotional
  • Story

Eine kurze Geschichte vorweg. Ein geschätzter Kunde, ein deutsches global tätiges Unternehmen in der Luftfahrtindustrie, formulierte eine CRM-Vision. Diese Vision war komplett richtig, doch selbst ich hatte als Experte für CX/CRM meine Schwierigkeiten damit, diese Vision zu verstehen. Viele Fachbegriffe prägten einen sehr langen Satz. Es waren sogar viele Sätze. Also haben wir uns an die Arbeit gemacht und das ganze einfacher formuliert; Als Projektbestandteil an nur einem einzigen Tag (kein Scherz; mit Ergebnis). Dabei hat uns Kennedy, der frühere amerikanische Präsident geholfen. Dieser sagte:

„(…) before this decade is out, (…) landing a man on the Moon and returning him safely to Earth.“

John F. Kennedy; 25.05.1961

Nun, er hätte ja auch sagen können: „Mit unserer außerordentlichen Kompetenz im Space Engineering und der damit verbundenen Kraft der internationalen und nationalen Kollaboration wird es uns gelingen auf Basis der bereits erworbenen Erkenntnisse aus der Raketenwissenschaft eine bemannte Reise zum Mond …“ und so weiter. Hat er aber nicht. Er formuliert es nach der SUCCES-Formel und damit will ich kurz beschreiben, wie eine konkrete Vision erstellt werden kann, die uns bei Initiativen der digitalen Transformation hilft.

SIMPLE

Visionen sind verständlich, wenn sie einfach formuliert sind. Simple. Wenn Zuhörer oder Leserinnen eine Botschaft einfach verstehen, dann kann die Botschaft auch genau so einfach verarbeitet werden. Frage dich doch einfach mal, ob die Vision so einfach zu verstehen ist, wie eine Werbung. Sehr einfach, in Sekunden zu verstehen.

UNEXPECTED

Wenn etwas unerwartet kommt, bewirkt es häufig ein: „Whhooouuuaaaa, wie cool ist das denn!“ Grade ging es noch um Kognitionen. Jetzt geht es um Emotionen. Wer es schafft, Gefühle zu adressieren und zwar mit einem Überraschungsmoment, der hat für die Vision eine prima Grundlage gelegt.

CONCRETE

Empfänger einer Vision stellen sich häufig die Frage: „OK, was ist da für mich drin? Was bringt mir das?“ An der Hürde scheitern viele Wolken-Kuckuksheim-Visionen. Je konkreter eine Vision für denjenigen ist, den sie betrifft, desto besser überzeugt das beim Start einer Initiative.

CREDIBLE

Glaubwürdigkeit (Credibility) ist schwer zu erreichen. Glaubwürdigkeit ist nicht einfach so vorhanden, noch kann sie schnell erzeugt werden. Glaubwürdigkeit muss erarbeitet werden. Menschen beobachten sehr genau, was ihnen gesagt wird und wie die Taten mit Worten übereinstimmen. Kommt es zum Bruch, war es das mit der Glaubwürdigkeit. So gesehen ist Glaubwürdigkeit die Basis für eine gute Vision. Ohne Glaubwürdigkeit wird es extrem schwer.

EMOTIONAL

Wem es gelingt, die Herzen zu berühren, der ist ziemlich weit vorne. Leider wird bei vielen Initiativen zur Digitalisierung noch zu viel aus dem Kopf gesteuert. Der Herzensfaktor ist oftmals unterrepräsentiert. Das hat sicherlich auch was mit der Materie zu tun, denn Digitalisierung scheint auf den ersten Blick recht blutleer. Die Wahrheit ist aber, dass gute digitale Lösungen extrem emotional sind. Beispiele sind das iPhone, Instagram, Salesforce Sales Cloud oder auch Microsoft Teams.

STORY

Klar nä? Storytelling. Jede gute Vision hat eine gute Geschichte. Die Story erweckt am Ende alles zum Leben. Ganz nebenbei sind Geschichten emotional, glaubwürdig und haben oft einen einfachen Hintergrund. Hier kommt eins zum anderen, denn die Story ist nur dann wirklich gut, wenn sie auch glaubwürdig ist. In dem Fall wurde Glaubwürdigkeit in der Vergangenheit erworben und kann jetzt eingebracht werden. Konkret, die Story sollte echt sein und nicht erfunden (Authentizität).

Los geht’s

Jetzt erst mal viel Freude bei der Schöpfung einer angepassten oder sogar frischen, neuen Vision. Viel Erfolg! … Ach so, „CX-Visionen“ ist ja nur ein Anwendungsfall. So Sorry 😉

Total Experience – Ein Top-IT-Trend?

Gartner stellt die wichtigsten strategischen Technologietrends regelmäßig vor. So auch vor etwa einem Jahr für 2022. Dort finden wir den strategischen Trend „Total Experience“. Folgende Komponenten sind enthalten:

  • Customer experience (alter Hut)
  • Employee experience (wird so langsam verstanden)
  • User experience (will jeder wegen der Kostenvorteile)
  • Multi experience (teuer und schwierig)

Gute Idee – Fehler im Konzept

Kunden und Mitarbeiter sind zwei Stakeholdergruppen, während User- und Multiexperience nicht so recht ins Konzept passen, oder? Besser wäre es, hier die wichtige Stakeholdergruppe der Partner aufzunehmen mit Partner Experience. Alle zusammen (Kunden, Partner und Mitarbeiter) sorgen für die Wertschöpfung. Das hat erstmal nichts mit Daten, Cloud oder AI zu tun. Das sind andere Elemente.

Kunden, Partner und Mitarbeiter (:innen) schaffen Werte

Die Idee für 2022 von Gartner der „Total Experience“ ist ganz prima, aber ich sehe hier einen Zahlendreher, denn die Total Experience hatte ich bereits 2002 in meinem Buch Network Relationship Management beschrieben. Ich weiss auch noch sehr genau, dass die Partner meines damaligen Arbeitgebers (CapGemini Ernst & Young, kurz nach der Fusion, bzw. dem Kauf der EY-Consultants, zu denen ich gehörte) sich skeptisch äußerten. Das Argument klang sogar plausibel:

„Harry, das ist viel zu visionär. So weit sind unsere Kunden noch nicht. Das dauert noch locker 10 Jahre.“

Als ich Tom Siebel das Manuskript vorlegte, quittierte dieser dagegen: „In der vernetzten Wirtschaft ist Beziehungskapital der entscheidende Faktor für das Generieren von Werten (…)“. Tom Siebel war der Gründer von Siebel Systems, der damaligen #1 im CRM-Geschäft. Er hatte damals tatsächlich schon ein Employee Relationship Management technisch realisiert. Aber der Markt … hatte 2002 kein Interesse daran.

Menschen – Der kritische Faktor für den Erfolg von IT-Initiativen

Als ich die Gartner Trends für 2022 las, dacht ich mir: „OK, die sind einfach locker 20 Jahre zu spät dran oder aber sie publizieren es erst, wenn die breite Masse an etwas glaubt“. Im Kapitel 2 „Employee Relationship Management“ meines Buchs Network Relationship Management beschreibe ich beispielsweise folgende Trends (im Jahr 2002 und nicht 2022):

  • Souveränität statt Abhängigkeit
  • Leistung statt Establishment
  • Strategische Lebenskonzepte statt Karriere
  • Regelbruch statt Absicherung
  • Risikobereitschaft statt Zuflucht
  • Netzwerke statt Hierarchien
  • Informationsdestillation statt Wissen
  • Fantasie statt Faktengläubigkeit
  • Emotionale Anreize statt monetäre Vergütung
  • Wertorientierung statt Absicherung
  • Weltveränderung statt Pflichterfüllung

Aus heutiger Perspektive sind das alles keine disruptiven Entwicklungen, sondern eher Dinge im operativen Geschäft, die überall eingesetzt werden, wo Wachstum, Innovation und Zukunft groß geschrieben wird.

Relevanz von Network Relationship Management

Meine Lösungs-Szenarien in meinem Buch sind technologisch in der Tat veraltet, weil 2002 noch keiner wusste, wie Cloud geschrieben wird. Alles war OnPrem, mit CD’s installiert. Doch die Idee, der Grundgedanke beginnt erst heute im Jahr 2022 so richtig sein Leben zu entfalten und das wird meiner Meinung nach auch die nächsten Jahre prägen: Es ist ein connecting the dot’s – Erst das Zusammenspiel von Experiences der Kunden, Partner und Mitarbeiter erzeugt neue Werte, basierend auf Hyper Scaler Solution Plattformen, angereichert mit AI und Prozessautomatisierung, doch der kritische, zentrale Faktor ist … DER MENSCH.

Ist „NEW WORK“ ein alter Hut?

Ja. Schnellleser können jetzt wegklicken. Die Frage ist beantwortet. Wer sich wirklich interessiert zeigt an tragfähigen Lösungen, kann weiter lesen. Es wird allerdings erst mal akademisch abstrakt. Was sind die wesentlichen Kennzeichen von New Work und warum ist es ein alter Hut? Zuerst ein Blick auf einige ausgewählte Merkmale als offene Liste

  • Betrifft überwiegend Brain Worker (ändert sich)
  • Remote ist essentiell und damit die Diskussion zu „Back2Office“
  • Digital bedeutet, dass Brain Work immer und überall möglich ist (fast)
  • Flexible Arbeitszeiten, bei denen private Interessen berücksichtigt werden
  • Life Balance soll die Gesundheit langfristig fördern > Steigerung von Kreativität und Leistungsbereitschaft
  • Produktivität wird nachweislich gesteigert (Microsoft Studie)
  • Selbststeuerung ist ein Kulturmekrmal > Eigene Entscheidungen
  • Connected auf vielen unterschiedlichen Kanälen (privat & beruflich)
  • Kompression von Arbeit > Nebenwirkung mit hohem Impact
  • Reduktion an echten Sozialkontakten > Isolationsgefahr von Ansichten
  • Information overflow > Einforderung von mehr Parallelisierung
  • Termintreue in Meetings und Lieferung von Arbeitsergebnissen
  • Selbstdisziplin während der Arbeit
  • Vermischung von Privat und -Berufsleben

Die Liste könnte weitergeführt werden. Fakt ist jedoch ein allgemeines Merkmal, wie es auch bei der „Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre“ üblich ist, also das Element des Allgemeinen und stets gültigen.

New Work ist der altbekannte „originäre Betrieb“

Früher gab es Schuster, Bäcker, Handwerker jeder Art, Architekten und Kaufleute. Alle hatten ein gemeinsames Merkmal vor der Industrialisierung. Es ist die Form des originären Betriebs (eigenständig, grundlegend). Üblicherweise fielen der Ort der Arbeit und des privaten Lebens recht nah zusammen, oft sogar in einem Gebäude. Erst mit der Industrialisierung bildeten sich sogenannte abgeleitete Betriebe, die derivativen Betriebe (Derivat). Deren Kennzeichen war es, dass der Ort der Leistungserbringung von dem Ort des Privatlebens getrennt wurde.

Jahrtausende mit New Work – absolut nix neues

Wir haben also viele Jahrhunderte, sogar Jahrtausende, die geprägt waren von originären Betrieben. Wir hatten nur eine vergleichswiese kleine Spanne, in denen Menschen an einem Ort zur Leistungserbringung zusammen gerottet wurden. In der Produktion scheint das heute für viele selbstverständlich, aber auch das ist es nicht, wenn wir an die Konzept der Smart Factory denken, bei denen die Fabrik Komponentenweise gebucht wird.

Was grade passiert, ist im Grunde nichts anderes, als die Rückkehr zum originären Betrieb, nur mit digitalen Werkzeugen. Im Kern ein alter Hut.

Harry Wessling, 2022

Was bedeutet dann „Back2Office“?

Strategische konzeptualisierte Überlegungen helfen uns dabei, offene kritische Fragen und Entwicklungen besser einzuordnen und zu guten Zielbildern zu kommen. Wenn der originäre Betrieb ein Zielbild im Rahmen der hybriden Modelle darstellt, dann sollte die Überlegung den Ausgleich von Interessen des originären und des derivativen Betriebs berücksichtigen.

Abstrakte Gedanken helfen in der Deduktion auf dem Weg zur konkreten Lösung

Wer es bis hier her geschafft hat, den beglückwünsche ich als Sieger in der Welt des Snippet Knowledge. Es gibt Dinge, die kann man einfach beantworten, aber deshalb sind sie nicht einfacher. Die Realitäten unserer neuen Arbeitswelt sind jedoch nicht so komplex, wie wir oft meinen. Wenn wir den originären und den derivativen Betrieb als Ort der Leistungserbringung verstanden haben, können wir anhand dieser Leitplanken Ziele und Mittel definieren, aber auch erst dann.

Lösungsfragen

  • Wie ist ein New Work Raum gestaltet (originär/derivativ)?
  • Welche Aufbauorganisation ist erforderlich (originär/derivativ)?
  • Welche Prozesse sind notwendig (originär/derivativ)?
  • Wie sind Meetings gestaltet (original/derivativ)?
  • Welche Hardware muss her (originär/derivativ)?
  • Welche Plattformen in der Cloud sind notwendig (originär/derivativ)?
  • Welche Akustik muss gestaltet werden (originär/derivativ)?
  • Wie wird „Content“ gespeichert und gefunden mit KI (originär/derivativ)?
  • Wie wird Kongruenz erzeugt zwischen originären und derivativen Betrieben?

Am Ende dreht sich unheimlich viel um Kongruenz (also der Synchronisierung zwischen Interessen der originären und derivativen Betriebe).

Je besser die Synchronisierung gelingt, desto attraktiver und damit auch kreativer und produktiver sind Arbeitswelten der Zukunft. Ich lade dazu ein, ausgehend von dem Gedanken der originären und derivativen Betrieben konkrete Lösungen zu finden, die uns helfen, die digitale Welt von Morgen für Brain Worker weiter zu entwickeln. KONKRET.

Kleiner Tipp: Das Beitragsbild enthält auch Elemente guter Lösungen, unvollständig und schwerpunktmäßig derivativ betrachtet mit originären Elementen.

Quelle: Die Idee der originären und derivativen Betriebe hat einer meiner Akademischen Lehrer, Univ.-Prof. Dr. Klaus Stüdemann an der Universität zu Köln vermittelt; Stüdemann, Klaus: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 2. unveränderte Auflage. München. Wien. Oldenburg. 1990 – Genau, schon was her, aber brandaktuell.