Change Management 3

Wann sind Menschen bereit, eine neue Rolle einzunehmen. Beispielsweise als Anwender einer Plattforminnovation, als Mitgestalter einer digitalen Innovation im Unternehmen? Wann verankern sich neue Rollen im Unternehmen und wie entwickeln sich Denkhaltungen und Aktivitäten im Unternehmen, wenn wir auf dem Pfad disruptiver Entwicklungen wandeln?

Antworten liefert die Rollentheorie

… und die Theorie der Rollenbilanz. Beides von Günter Wiswede, mein akademischer Vater an der Universität Köln, jetzt emeritiert. In Teil 1 habe ich mit dem „Am Anfang des Change Prozesses steht ein Schock“-Mumpitz aufgeräumt. Jetzt beginnen wir als Architekten die Substanz mit einem soliden Fundament aufzubauen. Wer Neues wagen will, braucht Fundamente, die tragfähig sind. Marktschreier und Disruptionsprediger, ominöse Trainer können in solchen Kontexten brandgefährlich werden. Vertrauen Sie lieber auf empirisch abgesichertes Material. Bleiben Sie skeptisch. Hinterfragen Sie. Fühlen Sie den Botschaften auf den Zahn!

Fundament 1 – Rollentheorie

Einfach beschrieben konzentriert sich die Rollentheorie darauf, wann Menschen eine Rolle annehmen, wann sie diese behalten, wann sie lieber wieder ausscheiden und auch wie sie dies tun. Eine Rolle ist dabei nur ein Bündel an Verhaltenserwartungen. Denken wir an die Rolle: „Mutter“, „Führungskraft“, „Verkäufer“ und so weiter. Jede dieser Rollen gibt Orientierung und sichert Verhaltensregelmäßigkeiten, auf die wirklich verlass ist.

USER als Rolle

Mit Think-Digitally richten wir den Fokus auf „USER“. Auch das ist eine Rolle. Wenn eine neue Plattform eingeführt oder eine alte ersetzt wird. Der Change besteht meistens darin, Menschen zu Anwendern von Systemen und Plattformen zu machen. Wie können wir Menschen dazu bewegen? Mit Change Kommunikation und Training? Ob das ausreicht? Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen, schauen wir uns jetzt mal die Metrik dahinter an und können dann auf dieser Basis erste Einschätzungen vornehmen, welche Maßnahmenbündel Wirkung zeigen und welche nicht.

Die Einflußgrößen zur Übernahme einer Rolle

Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen eine Rolle einnehmen, hängt von drei Faktoren ab. Erstens von Erträgen und Kosten (was muss ich wohl investieren und was bekomme ich am Ende heraus?), zweitens vom normativen Druck (der Chef will das so haben und misst meine Ziele daran) und drittens von den eigenen Fähigkeiten (kann ich das … jetzt? … in Zukunft?).

Zusammenhänge zwischen den Einflußgrößen

Erträge/Kosten und normativer Druck werden im Modell addiert und das Ergebnis wird mit den persönlichen Fähigkeiten multipliziert. Ein konretes Beispiel: „Ich soll als Anwender von Microsoft Dynamics 365 meine Vertriebsaufgaben erledigen, damit wir alle mehr verkaufen. Irgendwie soll uns das alles besser machen“, denkt sich der Betroffene in einem Change Prozess. Was jetzt passiert, kann in drei Phasen untergliedert werden. Zuerst muss die Rolle „User“ übernommen werden (Take over). In der zweiten Phase wird die Rolle ausgeübt und drittens finden Reaktionen statt, die dazu führen, dass ich diese Rolle behalte oder ich suche mir Alternativen (gedanklich oder verhaltensaktiv).

Ein Beispiel

Die Sache mit der additiven und multiplikativen Verknüpfung ist recht einfach am Beispiel dargelegt. „Yeah, ich muss weniger Oppties identifizieren, weil das quasi ein Ergebnis aus unserer Lead-Maschinerie ist. Weniger zu tun und mehr verkaufen – klasse!“, denkt sich die Kandidatin. Doch ein zweiter Gedanke kommt auf: „Da muss ich bestimmt erst mal 100 Stunden an Training, Übung, und wer weiss was investieren. Das will ich eigentlich nicht“. Die Rechnung sieht jetzt so aus: Kosten und Erträge sehen gut aus und was der Chef will, muss ich eh machen. Das ganze multipliziert sich jetzt mit einem Wert, der eher bei der Null, als bei der Eins angesiedelt ist. Ergebnis: Nicht so gut. In so einer Konstellation ist der zukünftige User nicht sehr geneigt, diese Rolle zu übernehmen.

Instrumente im Change

Jetzt kommt das Change Management zum Einsatz. Kosten, Erträge, normativer Druck muss gemessen oder abgeschätzt werden. Instrumente zur Aussteuerung kommen zum Einsatz und die Befähigung steht im Fokus des Instrumentalbaukastens. Neumodisch: Empowering. Eigentlich scheint hier noch nicht viel Innovation im Change zu stecken, doch wer genau hinschaut, wird feststellen, dass der Bewertungskontext mit der Rollentheorie mehr Substanz erhält. Maßnahmen werden zu Komponenten, die auf Zielgrößen einzahlen, die mehr ausmachen, als die Summe der Einzelteile. Hier geht es eher darum, dass Menschen ein Teil einer Angelegenheit werden, die größer ist, als sie selbst.

Meine Skizze oben fasst das alles recht einfach zusammen. Als nächstes betrachten wir die Steuerungsgrößen hinter den drei Einflußgrößen zur Übernahme einer Rolle und die Theorie der Rollenbilanz. Klicken Sie mal auf’s Bild, dann wird es besser.

Change Management 2

Digitalisierung ist ohne Change Management nicht möglich. Logisch! Doch wie man es richtig macht, wissen nur die wenigsten. Worauf ist beim Start einer Change Initiative zu achten? Hier die drei größten Fallen und wie sie diese vermeiden können.

Falle 1 – Vollmundige Versprechen

Eine Initiative wird oftmals mit einer großartigen Vision angekündigt. Damit Wolkenkuckucksheim nicht ganz abstrakt bleibt, werden schöne Stories aus der Zukunft erzählt, die den Business-Alltag aufzeigen sollen. Natürlich ist in der schönen neuen Welt alles super, sehr komfortabel, viel schneller und überhaupt für jeden besser. Kann man so machen, aber wer am Anfang viel verspricht, tolle Visionen aufzeigt und großartige Szenarien an die Wand malt, der muss sich nicht wundern, wenn in der Umsetzung Frust und Enttäuschung zu den Früchten der Arbeit gehören.

Wie kann man es besser machen? Eine Vision ist nicht schlecht, aber je schnelle die Vision mit klarem Fokus geerdet wird, desto besser die Glaubwürdigkeit. Suchen Sie drei Kern-Nutzen heraus und stellen Sie diese in den Vordergrund. Prüfen Sie mit Integratoren von digitalen Plattformen und Beratern, ob diese auch wirklich schnell umsetzbar sind. Checken Sie auch, ob es gute Demo-Cases dazu gibt. Am besten Referenzen. Nichts ist besser, als ein überzeugter Kunde, der selber berichtet … und zwar nicht immer nur positiv. Die Welt ist schwierig. Warum also immer nur alles schön malen? Das glaubt eh keiner mehr! Authentizität ist besser als Hochglanz-Werbung.

Falle 2 – Top-down-Planung

„Wir da oben wissen wirklich alles – und auch besser“, würde niemals jemand behaupten, aber oftmals ist es genau das, was ich beobachte. Folglich wird auch von oben herab geplant. Visionen werden auf TOP-Ebene zusammen geschnitzt und Plattformen werden nicht selten von Management oder IT evaluiert. Schade eigentlich, denn diejenigen, die nachher das ganze Zeug einsetzen sollen, bleiben mit ihren Potenzialen aussen vor.

Wieso also nicht einfach das Angenehme mit dem Nützlichen Verbinden? Nur weil eine Top-down-Planung etwas veraltet ist und nicht mehr so recht zum Zeitgeist passt, muss man das Kind doch nicht mit dem Bade ausschütten. Ein alleiniger Buttom-up-Ansatz würde genau so scheitern. Was aber gut funktioniert, ist die Kombination aus beiden Prinzipien durch geeignete Innovattion-Initiativen als Startpunkt. Bei der Auswahl einer digitalen Plattform kann das praktisch bedeuten, dass die Anforderungen aus den Funktionsbereichen in entsprechenden Arbeitstreffen aufgenommen und gegen Leistungsfähigkeiten von Anbietern von digitalen Lösungen abgeglichen werden. Natürlich nicht unstrukturiert.

Ein Gesamtkatalog könnte untergliedert werden in funktionale und nichtfunktionale Anforderungen, strategischer Fit-Gap-Analyse, Integrationsaspekte und Wirtschaftlichkeitsberechnung. Ja ja, so handfeste Sachen gehören zum Change Management dazu. Schon richtig gelesen.

Falle 3 – Falsche Denkhaltung

In der IT ist das Thema mit der Wasserfallplanung durch. Kein Profi würde auch nur ansatzweise auf solche Modelle referenzieren oder planen. Alles ist schön agil, flexibel und wird regelmäßig angepasst. Doch im Change Management laufen immer noch „Profis“ herum, die vorne weg alles planen und dann den Plan abarbeiten … wollen. Oftmals wird sogar ein veraltetes Basismodell zugrunde gelegt.

Diese Denkhaltung passt nicht mehr in ein Umfeld von Geschwindigkeit, Vernetzung und Unschärfe. Hier sind in der Entwicklung Methoden wie Design Thinking, Minimal Viable Products und agile angepasste Planung erforderlich. Alle diese Ansätze haben eins gemeinsam: „Trail & Error“ und sie kommen aus der Mitte der Leistungsorganisation. Adaptiv, selbstverständlich. Ein Graus für Menschen, die noch immer im Newtonschen Kartesianischen quadratischen Denkmustern leben. Alles schön geplant und dann umgesetzt. Das war früher tatsächlich mal so. Ich habe das selber noch erlebt.

Klar ist ein Masterplan nicht schlecht, aber nur dann, wenn wiederkehrende Komponenten eingebaut sind, die Kontinuität über eine disruptive Entwicklung absichert. Wie das Fokusgruppenkonzept beispielsweise. Das ist nicht ganz einfach zu installieren, aber wenn es erst mal steht, liefert es eine Verankerung von Ergebnissen, die ihresgleichen suchen.

Change Management 1

Es gibt zu viele Mythen um Change Management, zu wenig sozialpsychologische Substanz, zu wenig robuste Messverfahren und noch weniger Steuerungskonzepte, die wissenschaftlich fundiert und in der Praxis erprobt wurden. Mit dieser Serie gehen wir der ganzen Sache auf den Grund. Unser bester Berater ist die Skepsis gegenüber der Wirksamkeit von Change-Konzepten. Los geht’s.

Teil 1 – Klassischer Change Verlauf

Direkt eine Sache vorweg. Ich habe selten so viel Mumpitz in einer Grafik gesehen, wie in der klassischen Darstellung von Veränderungen. Dort gibt es zwei Achsen. Die eigene wahrgenommene Kompetenz (Ordinate) wird im Zeitverlauf (Abszisse) nach Ankündigung und weiteren Maßnahmen einer Veränderung abgebildet. Angeblich reagieren Menschen erst mal mit einem Schock. Alle weiteren Entwicklungen sind eigentlich egal, weil sie allesamt von einem monokausalen Modell ausgehen, dass nicht ansatzweise der Realität entspricht. Kein Wunder also, dass die folgenden Change Maßnahmen nicht geeignet sind, um das Ziel der Veränderung zu erreichen.

Was ist falsch am klassischen Change-Modell?

Wissenschaftlich würde ich mal einfach die Frage stellen: „Wie exakt wird ein Schock gemessen und bei welchem Schwellwert kann von einem solchen gesprochen werden?“ Narrativ reicht aber eine viel einfachere Frage aus: „Sind alle Menschen in einer Leistungsorganisation geschockt, wenn sie von einer geplanten Veränderung hören?“

Ein Schock ist medizinisch klar definiert als plötzliches Versagen der Körperfunktionen, was zu einem akuten Missverhältnis von Versorgungsleistungen des Herzens und Bedarf des Körpers führt. Bereits hier sehen wir, dass die Sprache nicht ansatzweise geeignet ist, um den Beginn einer Veränderung in einer Leistungsorganisation zu beschreiben. Wieso sollten alle Menschen gleichermaßen geschockt sein? Hinzu kommt, dass wir dort auch Menschen vorfinden, die zum Cluster der „Arrowsal Seeker“ gehören, also Menschen, die eine gewisse Aktivation in ihrem täglichen Arbeitsumfeld suchen. Also weit ab von Ruhe und Gleichmäßigkeit.

So erkennen Sie Change Management Mumpitz

Wenn Sie als Entscheider also das klassische Modell eines Change Management-Prozesses als Basis von Handlungsoptionen vorgelegt bekommen, dürfen Sie das Gespräch selbstbewusst beenden, weil hier bereits viel zu wenig Substanz, dafür zu viel Change Hokus-Pokus enthalten ist. Stellen Sie doch einfach folgende Fragen. Auf die Antworten dürfen Sie echt gespannt sein:

  • Wie definieren Sie einen Schock?
  • Wieso wird die Definition eines Schocks auf die eigene Wahrgenommene Kompetenz eines Individuums übertragen?
  • Wieso reagieren äußerst innovationsfreudige Menschen bei einer Ankündigung einer Veränderung mit einem Schock? Müssten diese nicht eher motiviert sein?
  • Wieso werden kognitive und emotionale Konzepte im klassischen Modell miteinander vermischt?
  • Wieso wird davon ausgegangen, dass alle Menschen gleichermaßen auf eine Veränderung reagieren, was das Modell impliziert?
  • Welche Modelle der differenzierten Betrachtung stehen ansonsten noch zur Verfügung?
  • Wieso sind keine gruppendynamischen sozialpsychologischen Konzepte neben Reaktanz und Akzeptanz berücksichtigt? Was ist beispielsweise mit Social Impact von Latané oder der Dissonanztheorie von Festinger – Wo finden diese Konzepte in dem Modell Berücksichtigung?

Die Liste kann beliebig weiter geführt werden. Ich verzichte weiter auf einen Frontalangriff auf dieses Mumpitz-Konzept, dass sich jeglicher soliden wissenschaftlicher Grundlage entzieht und überlasse die Überprüfung dem Leser.

In den nächsten Beiträgen werde ich auf robuste Konzepte zur Veränderung in Leistungsorganisationen eingehen, die wissenschaftlich in der Sozialpsychologie abgesichert sind.