SIEBEL – totgesagte leben länger

Microsoft Dynamics 365, Salesforce oder Branchenlösungen wie „Veeva“ sind unangefochten die besten CRM-Plattformen, die Unternehmen heute für Geld kaufen können, doch immer noch existiert eine extrem breite Basis an SIEBEL Installationen. Schon lange totgesagt, bei Oracle assimiliert und doch investieren Unternehmen noch kräftig in Betrieb und Weiterentwicklung. Warum eigentlich? Das ist doch teuer, kompliziert und echt altmodisch mit Oberflächen, die an gute alte Windows PC’s erinnern, weit ab von schicken App-Lösungen auf Smartphones und Tablets.

Darum ist SIEBEL nicht tot zu kriegen

Man könnte auch etwas vorsichtiger formulieren: „Das läuft und läuft und läuft, wie ein alter Käfer.“ Ist tatsächlich so. Siebel-Umgebungen mit 100 Anwendern können ganz gut durch zukunftsfähige Lösungen von Microsoft oder Salesforce abgelöst werden, doch was ist mit Installationen, mit denen mehrere Hundert oder sogar Tausende Anwender täglich hantieren, um das sensible operative Geschäft an der Kundenfront zu sichern? Das hat auch was mit einfachem Investitionsschutz zu tun.

Investment-Schutz

Kein Thema, ein alter Diesel kann durch den innovativsten Tesla abgelöst werden. Ist superklasse, leise, effizient, technologisch eindeutig überlegen. Allerdings gibt es Hindernisse, die auf der Hand liegen. Jeder weiss, dass der Diesel keine Zukunft hat und doch ist der Diesel im Flottenmanagement bei Unternehmen mit Abstand die Nummer Eins. Kein Problem für einen Privatmann, die Antriebstechnologie zu wechseln, aber wie sieht es in komplexen Gebilden aus?

Das hat was mit Kosten und Investitionsschutz zu tun. Manchmal ist es ökonomischer, eine bewährte Lösung weiter zu entwickeln, als den letzten Schrei von Apple zu kaufen, alle Adapter weg zu werfen und Daten komplett in die Apple-Cloud zu heben, die ich vorher auf meinem Rechner hatte. Einfach gesprochen.

SIEBEL ablösen oder weiter entwickeln?

Das gilt nicht nur für Siebel, sondern auch für eine Vielzahl von Individualentwicklungen. Strategisch gesehen gehören alle alten Lösungen auf den Berg der Geschichte. Schon klar. Früher oder später. Keine Diskussion. Ist so und war auch immer so. Die Frage lautet allerdings – Wann? Und auch – Wie?

Ausstieg aus der Kernenergie ja, aber wie und wann? Ausstieg aus der Dieseltechnologie ja, aber wie und wann? Ausstieg aus Plastik als Verpackungsmaterial ja, aber wie und wann? Der aufmerksame Leser sieht sofort: „Es gibt Übergangsphasen“ und diese müssen wohl überlegt und gut gestaltet werden.

Investment in Altlösungen wie SIEBEL?

Ein Microsoft- oder Salesforce-Verkäufer wird dem Kunden schon erzählen, warum ein Invest in Altsystemen totaler Quatsch ist. Logisch, denn das Interesse besteht drin, etwas neues oder anderes zu verkaufen. Mit der Innovationskeule, strategischer Überlebensfähigkeit bis hin zur Steigerung der Wettbewerbfähigkeit ist alles auf der Verkäufer-Klaviatur zu finden, doch Vorsicht ist geboten mit der Geschwindigkeit. Manchmal macht ein „Zwischen-Invest“ in Altsysteme Sinn. Wirtschaftlich zumindest und an diesem Ziel haben Unternehmen tendenziell Interesse.

Doch wenn Unternehmen weiter in alte Plattformen wie SIEBEL investieren, sollten sie uneingeschränkt mit zukunftsfähigen Ansätzen, Methoden und Vorgehensweisen ihre Investition schützen und gleichzeitig die Schienen für die weitere Zukunft legen. Beispielsweise mit Design Thinking, Innovation Centern oder auch agilen Methoden.

Design Thinking als Invest-Schutz und innovativer Zukunftsgestaltung

Plattformen und IT-Lösungen mögen veralten, kompliziert anmuten und wirklich keine coolnes und sexyness bei den Mitarbeitern hervorrufen, doch mit Methoden wie Design Thinking, kann sogar Begeisterung für Altsysteme erzeugt werden. Manchmal macht eine Hardwarenachrüstung bei einem Diesel eben Sinn. Ein Softwareupdate wäre zu wenig und hat keinen Effekt.

Design Thinking ist die Hardwarenachrüstung, um den guten alten Siebel-Diesel noch nicht in die Presse zu stecken.

Siebel kann ruhig noch auf der Strasse bleiben. Das funktioniert, aber nur mit einer ordentlichen Nachrüstung wie Open UI in Kombination mit Design Thinking. In einigen Fällen ist das ein hervorragender Investitionsschutz. Immer dann, wenn Siebel sehr tief und breit in Leistungsorganisationen verankert wurde. Klar kann man den Diesel wegwerfen, doch warum eigentlich sofort, wenn er mit einer ordentlichen Hardwarenachrüstung noch ein paar Jahre läuft?

Verlässlichkeit im Umbruch – Geht das?

Christian Sewing, Chef der Deutschen Bank spricht auf der Handelsblatt Tagung davon, dass die vor uns liegenden Umbrüche alles in den Schatten stellen werden. Er Berichtet, wie so ziemlich alle von dem Erfolgsmodell Apple und darüber, wie der einst starke Marktführer NOKIA sich quasi in Luft auflöste. Damit leitete er ein, wieso wir in Deutschland zumindest eine große international ausgerichtete Bank brauchen. Na klar, die Deutsche Bank. So weit so gut. In der Fragerunde kommt wie es kommen muss. Es wird die Frage nach Innovationskraft in der IT gestellt und hier zeigt Sewing, dass ihm die Auswirkungen der technologischen Entwicklungen, die durch Kundenanforderungen getrieben werden, noch nicht so ganz klar sind (meine ich erst mal).

Verlässlichkeit ist wichtig – wirklich?

„Eins ist ganz wichtig, die Verlässlichkeit der Systeme (…) parallel dazu müssen wir sie noch schneller (…) machen“, so Sewing. Hier in Deutschland könnte es sein, dass erst mal alle brav nicken. Leider ist das heute nicht mehr das wichtigste und ich will am Beispiel Siemens zeigen, warum diese Annahme vollständig verkehrt ist.

Bei Siemens Communications war Verlässlichkeit das wichtigste

Direkt vorweg, Siemens COM existiert nicht mehr und die Reste hat ein Investor aufgesammelt. Seit 2005 habe ich Siemens in diesem Umfeld beraten. Unter anderem war die Verlässlichkeit von großen PBX-Anlagen für etwa 100.000 Anwender im Fokus. Teure Preise, komplexe Integrationsprojekte und zahlreiche Features wurden höher bewertet, als der Komfort einer virtuellen Lösung. Das Hauptargument war Verlässlichkeit. Konkret: „Wer will schon eine Telefonanlage, bei dem die Leute aus den Konferenzschaltungen raus fliegen. Dafür bezahlen die Kunden“, so die Ingenieure bei Siemens mir gegenüber. Ich habe dagegen gehalten und geraten, das komplette Modell zu Ändern, weil Kunden mit weniger Verlässlichkeit zufrieden sind, wenn die Lösung insgesamt günstiger, schneller und vor allem komfortabler ist. Lange Rede, kurzer Sinn. Siemens hat den Knall nicht gehört und durfte zu guter letzt die gesamte Sparte einstampfen. Nun gut, verkauft für 1 EUR an Alec Gores. Ende der Geschichte.

Verlässlichkeit ist nicht mehr das wichtigste – Auch bei Banken

Verlässlichkeit der IT Systeme ist nicht das strategische Kriterium für zukünftigen Erfolg. Das Kernkriterium ist Anwenderfreundlichkeit. Sowohl für Kunden, als auch für Akteure innerhalb der Leistungsorganisationen. Wer heute sehr verlässliche, sehr gut integrierte Systeme, mit einem stabilen Kern entwickelt, tut gut daran, aber die zentrale Frage ist: WO? Welche Systeme?

System ist nicht System!

Im Backend ist Verlässlichkeit nach wie vor Trumpf, aber keinesfalls gilt dies für Plattformen und Systeme zur Marktbearbeitung. An der Kundenschnittstelle, den Funktionsbereichen Marketing, Vertrieb und  Service ist coolnes, Einfachheit und Anwenderfreundlichkeit der entscheidende Erfolgsfaktor.

Herr Sewing hat Recht, was die Backend-Systeme betrifft, aber leider hat er komplett unrecht, was die Systeme zur Marktbearbeitung betreffen. Er hat richtig analysiert, dass die vor uns stehenden Umbrüche (insbesondere im Bankensektor) alles bisherige in den Schatten stellen werden und die Analyse muss hier differenziert weiter geführt werden, denn Erfolg in der Marktbearbeitung wird eben in Zukunft stärker durch Anwenderfreundlichkeit, als durch Verlässlichkeit geprägt werden.

Ich schreibe das, weil ich diese Diskussion schon seit 20 Jahren bei großen Unternehmen führe. Erfreulicher Weise konnte ich aber auch schon oft und nach vielen Projekten beobachten, wie der Ansatz der Anwenderfreundlichkeit (für Kunden und Mitarbeiter) zum Ziel führte. Mein Buch zu diesem Thema (festhalten, aus dem Jahr 2002) wurde von den Vice Präsidenten meines damaligen Arbeitgebers Ernst & Young wie folgt bewertet:

„Harry, das ist alles richtig, aber der Markt wird frühestens in 10 Jahren dafür reif sein. Das versteht heute noch keiner“.

Das war 2002. Eigentlich müsste der Reifungsprozess fortgeschritten und das Verständnis vorhanden sein.

Standards prägen Disruption und sichern Innovationskraft

Moment mal, entweder Standardisierung oder Disruption. Aber wie in aller Welt sollen Standards denn die Disruption prägen?  Eigentlich ganz einfach, denn nur mit Standardisierungen sind disruptive Erfolge möglich. Best Practice Beispiel Apple: Das iPhone ist alles andere als individuell. Zumindest in der Hardwarelösung. Standards prägen in Summe das derzeit erfolgreichste und nachhaltigste Geschäftsmodell von Apple. Standards bei Macs. Standards bei iPhones und iPads. Standards im Apple Shop und Standards in den Serviceprozessen. Ganz zu schweigen von der standardisierten Produktion zur Fertigung von Massenprodukten. Die Individualisierung kommt mit den Apps, aber genau die sind ja nicht von Apple.

Apple als Vorbild für CRM-Plattformen

Wer heute Kundenerfahrungen auf exzellentem und stets innovativem Niveau gestalten möchte, muss mit Standards arbeiten. Das ist keine Option, sondern Pflicht. Diese Standards werden von Plattformen wie Salesforce oder Microsoft Dynamics 365 für die Marktbearbeitung geliefert. Die Individualisierungen sind auch hier quasi mit Apps möglich. Aber Vorsicht ist geboten, denn die Vorteile der Standardisierung überwiegen und liefern messbare Werte, sichern Investments und garantieren den Erfolg bei Anwendern und Kunden gleichsam. Ein Paar Beispiele für die Vorteile

Vorteil 1 – Mengenvorteil

Wer standardisiert, kann einen höheren Output erzeugen. Das gilt nicht nur für die Produktion, sondern erst Recht in Marketing, Vertrieb und Service. Das Rechenmodell ist recht einfach. Wer mehr Kunden bearbeiten kann, wird mehr Umsatz erzeugen. Ergo auch Gewinn aus der Zunahme der Mengen.

Vorteil 2 – Preisvorteil

Wer standardisiert, kann bessere Preise anbieten. Je standardisierter Prozesse beispielsweise in Marketing und Vertrieb ablaufen können, desto günstiger ist die Marktbearbeitung und das kann am Ende des Tages entweder an Kunden weiter gegeben werden oder der EBIT verbessert sich. Im Besten Fall sogar beides.

Vorteil 3 – Zeitvorteil

Wer den Markt standardisiert bearbeitet, ist schneller. Kunden schätzen Geschwindigkeit heute über alles. Wer schnell liefern kann, hat ganz klar einen Vorteil. Das Beginn schon im Vertrieb und im Beweis darin, wie schnell der vertrieb arbeiten kann. Das freut Kunden und vor allem auch den Vertrieb selbst, denn wer hat die Arbeit nicht gerne schnell vom Tisch?

Vorteil 4 – Lerngeschwindigkeit

Leistungsorganisationen mit standardisierten Lösungen können diese auch schneller vermitteln. Je individueller Prozesse und Applikationen sind, desto häufiger werden Sätze wie „Wenn …“ oder „Im speziellen Fall …“ verwendet und das bremst alle Mitarbeiter in der Leistungsorganisation aus. Es ist ein Kennzeichen für Komplexität, Individualität und damit eine Bremse in Lernprozessen. Diese prägen jedoch das Bild, denn Innovationen sind der Stoff, aus dem der Erfolg gemacht wird. Wer hier zu stark individualisiert, bremst sein eigenes Innovationstempo aus.

Vorteil 5 – Stückkosten

Bitte mal festhalten, denn auch im Vertrieb existieren Stückkosten. Was kostet ein Stück Vertrag? Was kostet ein Stück Kundengespräch bis zur Bestellung? Wer standardisiert, senkt seine Vertriebsstückkosten. Dazu sind Standard-Plattformen notwendig.

Vorteil 6 – Einheitliche Außendarstellung

Es soll vorkommen, dass Mitarbeiter im Vertrieb rotieren, neue Kollegen/innen kommen dazu und andere gehen woanders hin. Je besser die Standards, desto schneller können diese von den Mitarbeitern übernommen werden. In der Außendarstellung wird ein Unternehmen konsistenter und damit auch erfolgreicher.

Vorteil 7 – Bessere Ressourcenverfügbarkeit

Wer standardisierte CRM Plattformen implementiert, wird sich immer unabhängiger am Markt bewegen können, als ein unternehmen, dass sie für Speziallösungen entschieden hat. Ressourcen für „große“ Lösungen stehen immer zur Verfügung. Man ist unabhängiger von Integratoren und auch in der Servicierung.

Vorteil 8 – Reduktion der IT-Komplexität

Standardisierte Lösungen können tendenziell architektonisch besser in eine bestehende Landschaft integriert werden, als individuelle Lösungen. Die Vorteile werden bei Release-Wechsel immer deutlicher. Man kann auch sagen: „Je mehr Cloud in der Lösung steckt, desto einfacher wird es.“

Ich könnte mit der Aufzählung von Vorteilen immer weiter machen. Sogar wissenschaftlich kann man das begründen, wie beispielsweise mit dem Transaktionskostenansatz aus der Handelswissenschaft (BWL). Doch diese kleine Aufzählung soll erst mal genügen.