AI Rulez! CRM ist tot?

Es gibt Zahlen, die zeigen sofort, wo der Hammer hängt und in welche Richtung die Herde als nächstes läuft. Auf LinkedIn kann man sehr schön sehen, welche Themen rund um Marketing, Vertrieb, Service, CXM und AI vorne liegen. Ich habe mal eine Analyse über diverse Gruppen angefertigt und wen überrascht es, wenn Marketing, Sales und Service, althergebrachte CRM-Themen schlicht weg keine Follower in signifikanter Größe für einzelnen Gruppen erzeugen? Künstliche Intelligenz dagegen räumt fett ab.

Welchen Impact hat AI auf Marketing, Vertrieb und Service?

Ich hau direkt mal mehrere Thesen raus, weil sich hier eine Disruption wie ein Tsunami hernnaht, die es in sich hat. Wir dachten mit ein wenig CRM-Plattform, alles schön in der Cloud, ein super Data Layer drunter, alles automatisiert und vernetzt würde uns den Wettbewerbsvorteil verschaffen. Pustekuchen. Es kommt viel schlimmer, komplexer, schneller, vernetzter:

These 1: Kernprozesse in Marketing, Vertrieb und Service werden signifikant verändert durch die Integration von AI

These 2: Geschwindigkeit, Vernetzung und Unschärfe nehmen noch einmal stark zu

These 3: Customer Experience wird verknüpft mit Partner und Employee Experience

These 4: Der Machine Layer wird den Unterschied in der Wertschöpfung ausmachen

These 5: Wer heute kein cloudbasiertes CRM im Einsatz hat, wird morgen im Wettbewerb verlieren, wenn das CRM mit mehr Intelligenz und Automatisierung ausgestattet wird

These 6: Alle einfachen Tätigkeiten in Marketing, Vertrieb und Service werden automatisiert mit RPA

These 7: Profis in Marketing, Vertrieb und Service (knapper Faktor) werden nur dann erfolgreich am Markt agieren, wenn sie massiv AI nutzen und sich auf Entscheidungen konzentrieren

These 8: Salesprofis werden keine CRM-Daten mehr pflegen, weil die Maschine das vollständig erledigen wird (sammeln, qualifizieren, auswerten, aufbereiten, vorbereiten, zur Verfügung stellen mit Handlungsempfehlungen)

Welchen Einfluss haben die Entwicklung auf den CRM-Reifegrad?

Tja, jetzt kommt es hammerhart für alle, die dachten, sie seien mit ihren Initiativen weit vorne, um sich signifikante Wettbewerbsvorteile zu sichern. Noch in diesem Jahr werden Profis in den Bereichen anfangen, eigenständig AI-Werkzeuge in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Wer schnell ist, ist auch schnell besser als seine Peergroup. Unternehmen mit hohem Reifegrad werden im nächsten Jahr auf den Mittelplatz zurück geworfen, wenn Sie nicht sofort beginnen, die neuen Potenziale für sich zu identifizieren und zu integrieren.

Was bedeutet das für eh schon gestresste Profis/Anwender?

Geschwindigkeit, Vernetzung und Unschärfe werden zunehmen. Um dem zu begegnen sind zwei Elemente erfolgsversprechend: Erstens eine minimalinvasive Begleitung und Support im operativen Geschäft und zweitens eine radikale Fokussierung auf Essentials. Letzteres muss auf Top-Ebene vorbereitet und entschieden werden. FOKUS. FOKUS. FOKUS lautet die Devise. Kleine Pakete, also agiles Vorgehen, schnell adaptiv und „fail fast“. Wer in diesem Kontext zu lange an Szenarien herum rechnet, sich nur absichern will, läuft Gefahr, den Zug zu verpassen. Die Indikatoren hierfür sind recht einfach: Kunden, Partner und Mitarbeiter sind der Seismograph, an dem man die Entwicklung messen kann, aber das machen Sie ja alles bereits voll automatisiert und regelmäßig über alle drei Stakeholdergruppen – Da kann dann nichts mehr schief gehen.

Total Experience – Ein Top-IT-Trend?

Gartner stellt die wichtigsten strategischen Technologietrends regelmäßig vor. So auch vor etwa einem Jahr für 2022. Dort finden wir den strategischen Trend „Total Experience“. Folgende Komponenten sind enthalten:

  • Customer experience (alter Hut)
  • Employee experience (wird so langsam verstanden)
  • User experience (will jeder wegen der Kostenvorteile)
  • Multi experience (teuer und schwierig)

Gute Idee – Fehler im Konzept

Kunden und Mitarbeiter sind zwei Stakeholdergruppen, während User- und Multiexperience nicht so recht ins Konzept passen, oder? Besser wäre es, hier die wichtige Stakeholdergruppe der Partner aufzunehmen mit Partner Experience. Alle zusammen (Kunden, Partner und Mitarbeiter) sorgen für die Wertschöpfung. Das hat erstmal nichts mit Daten, Cloud oder AI zu tun. Das sind andere Elemente.

Kunden, Partner und Mitarbeiter (:innen) schaffen Werte

Die Idee für 2022 von Gartner der „Total Experience“ ist ganz prima, aber ich sehe hier einen Zahlendreher, denn die Total Experience hatte ich bereits 2002 in meinem Buch Network Relationship Management beschrieben. Ich weiss auch noch sehr genau, dass die Partner meines damaligen Arbeitgebers (CapGemini Ernst & Young, kurz nach der Fusion, bzw. dem Kauf der EY-Consultants, zu denen ich gehörte) sich skeptisch äußerten. Das Argument klang sogar plausibel:

„Harry, das ist viel zu visionär. So weit sind unsere Kunden noch nicht. Das dauert noch locker 10 Jahre.“

Als ich Tom Siebel das Manuskript vorlegte, quittierte dieser dagegen: „In der vernetzten Wirtschaft ist Beziehungskapital der entscheidende Faktor für das Generieren von Werten (…)“. Tom Siebel war der Gründer von Siebel Systems, der damaligen #1 im CRM-Geschäft. Er hatte damals tatsächlich schon ein Employee Relationship Management technisch realisiert. Aber der Markt … hatte 2002 kein Interesse daran.

Menschen – Der kritische Faktor für den Erfolg von IT-Initiativen

Als ich die Gartner Trends für 2022 las, dacht ich mir: „OK, die sind einfach locker 20 Jahre zu spät dran oder aber sie publizieren es erst, wenn die breite Masse an etwas glaubt“. Im Kapitel 2 „Employee Relationship Management“ meines Buchs Network Relationship Management beschreibe ich beispielsweise folgende Trends (im Jahr 2002 und nicht 2022):

  • Souveränität statt Abhängigkeit
  • Leistung statt Establishment
  • Strategische Lebenskonzepte statt Karriere
  • Regelbruch statt Absicherung
  • Risikobereitschaft statt Zuflucht
  • Netzwerke statt Hierarchien
  • Informationsdestillation statt Wissen
  • Fantasie statt Faktengläubigkeit
  • Emotionale Anreize statt monetäre Vergütung
  • Wertorientierung statt Absicherung
  • Weltveränderung statt Pflichterfüllung

Aus heutiger Perspektive sind das alles keine disruptiven Entwicklungen, sondern eher Dinge im operativen Geschäft, die überall eingesetzt werden, wo Wachstum, Innovation und Zukunft groß geschrieben wird.

Relevanz von Network Relationship Management

Meine Lösungs-Szenarien in meinem Buch sind technologisch in der Tat veraltet, weil 2002 noch keiner wusste, wie Cloud geschrieben wird. Alles war OnPrem, mit CD’s installiert. Doch die Idee, der Grundgedanke beginnt erst heute im Jahr 2022 so richtig sein Leben zu entfalten und das wird meiner Meinung nach auch die nächsten Jahre prägen: Es ist ein connecting the dot’s – Erst das Zusammenspiel von Experiences der Kunden, Partner und Mitarbeiter erzeugt neue Werte, basierend auf Hyper Scaler Solution Plattformen, angereichert mit AI und Prozessautomatisierung, doch der kritische, zentrale Faktor ist … DER MENSCH.

Empowering

Es wäre zu schön, wenn eine Methode für alle funktionieren würde. So langsam setzt sich aber die Erkenntnis durch, dass tatsächlich jede Leistungsorganisation so individuell ist, wie jeder Mensch. In der Tat gibt es gleiche Elemente und Prinzipien in Organismen, aber jeder Organismus ist dennoch recht einzigartig, individuell geprägt in seiner Historie.

Die neue Realität

Wenn Standardisierung die tatsächliche oberste Maxime darstellt, brauchen wir keine Befähigung (Ermächtigung) von Personen und Organisationen. Wenn der Standard das Ziel ist, reicht es vollkommen aus, alle in den Standard hinein zu pressen. In starren Organisationen hat das gut gepasst.

Doch unsere neue Welt ist geprägt von Disruption, Kreativität, Diversität und Komplexität. Noch ein paar Zutaten mehr? Geschwindigkeit, Vernetzung und Unschärfe.

Empowering als zentrales Erfolgsrezept

„Wissen ist begrenzt“ – Soviel steht fest. Wenn sich jede/r und alles aber ständig anpasst an Krisen jeglicher Couleur, dann sind Organisationen und Menschen im Vorteil, die zuvor befähigt wurden, kreativ und eigenständig auf Veränderungen schnell zu reagieren. Aus genau dem Grund haben sich agile Methoden gegenüber klassischen starren Planungen durchgesetzt. Das ganze funktioniert auch nur dann wirklich gut, wenn es als Kultur gelebt wird und nicht nur als Methode. Es zeigt sich jedoch erst in der Krise, ob EMPOWERING stattgefunden hat.

Selbstverantwortung und Vielfalt

Aus Erfahrung kann ich berichten, dass Initiativen zur Digitalisierung und Transformation immer dann besonders erfolgreich zum Ergebnis kommen, wenn die Akteure in Selbstverantwortung agieren. Klingt recht simpel, aber immer wieder tendieren Leistungsorganisationen dazu, Anweisungen von oben nach unten zu exekutieren. Oft sogar gepaart mit einer entsprechenden abgeschlossenen Kommunikation, die einen Dialog, geschweige denn Kreativität erst garnicht zulässt. Ein perfektes Rezept zum Scheitern.

Eine Kultur für Empowering

Befähigung kann einfacher sein, als gedacht, weil es bedeutet, Menschen und Organisationseinheiten Gelegenheit zu geben, auf Basis eigener Motivation, kreativer Ideen und in Vielfalt Lösungen zu entwickeln, die genau passen. Für Führungskräfte, die mit Taylor groß geworden sind, durchaus ein gewagter Ansatz, doch die neue Realität lässt eigentlich keine Alternative zu. Sowohl gesellschaftlich, kulturell und auch individuell. Das ist unsere Entscheidung in einer Marktwirtschaft, die funktioniert, die innovativ ist und die schneller ist, als jede Form der Planwirtschaft.

Freiheit und Freiheitsspielräume

Befähigung findet in einer Atmosphäre von Freiheitsspielräumen statt, in denen „Fail fast“ erlaubt ist. Es bedeutet aber nicht, dass im „free flow“ ohne Regeln und Abstimmungen gearbeitet werden kann. Genau hier kommen die vielbeschworenen Technologien zum Einsatz. Plattformen, die Daten in einer „Single source of truth“ für alle Beteiligten transparent zugänglich machen sind die Basis für schnelle und abgestimmte Entscheidungen. Entscheidungen, die von Individuen getroffen werden, die das Wohl des Gesamtorganismus im Blick haben.